Nervenfeuer

Bewusstsein und Neuronen

In unseren Köpfen verändert sich alles mindestens in Lichtgeschwindigkeit. Das Bewusstsein ist ein Produkt rasender elektrochemischer Aktivität. Der Neurophysiologe Gerald Edelman beschreibt drei zentrale Eigenschaften dieses Prozesses. Das Bewusstsein ist immer integriert, was bedeutet, dass es das unteilbare Produkt eines neuronalen Netzwerkes ist. Ein Bewusstseinszustand ist nicht in verschiedene Komponenten oder neuronale Gruppen zerlegbar, er ist ein Interaktionsprodukt digitaler und analoger Verbindungen, ein Ensemble. Gleichzeitig ist das Bewusstsein immer differenziert, das heißt, es gibt eine unendliche Anzahl möglicher Bewusstseinszustände, die „Qualia“. Als drittes Charakteristikum nennt Edelmann komplexe Vorgänge der Rückkopplung und Synchronisierung innerhalb des elektrochemischen Netzwerkes Gehirn. Diese Prozesse sind so kompliziert, weil sie keine lineare Kette aus Ursache und Wirkung bilden, sie sind nicht-linear.

Eines der am leichtesten nachvollziehbaren Beispiele für einen nicht-linearen Prozess ist die akustische Rückkopplung zwischen Mikrofon und Lautsprecher. Ein leiser Ton wird vom Mikrofon zum Lautsprecher übertragen, der zur Quelle eines leisen Tones wird, den das Mikrofon aufnimmt und verstärkt. Der etwas lautere Ton wird wieder vom Lautsprecher übertragen, durch das Mikrofon abermals verstärkt und so weiter. Die Ursache wird zur Wirkung wird zur Ursache wird zur Wirkung.

Zu diesen vielschichtigen Beziehungen kommt noch die große Geschwindigkeit des elektrochemischen Nervenfeuers. Das Gehirn arbeitet im Bereich der Millisekunden, was die Beobachtungsmöglichkeiten stark einschränkt. Wolf Singer merkt an, dass zukünftige Theorien der neuronalen Aktivität immer weniger intuitiv nachvollziehbar sein werden. Wie in der Superstringtheorie werden es Formeln sein, die sich in vieldimensionalen Räumen bewegen und sich dem Begreifen immer weiter entziehen. Damit werden die Vorgänge des Bewusstseins für uns als Bewohner des „mesoskopischen Welt„, des Bereiches von Millimetern und Metern, ebenso wenig nachvollziehbar wie die Quantenmechanik oder die Relativitätstheorie. Es bleibt abzuwarten, ob es jemals neuronale Theorien geben wird, die über eine vergleichbare Prognosekraft verfügen.

Wie weit der Weg dorthin noch ist, wird an Experimenten deutlich, die messbare Hirnaktivität mit bewussten Entscheidungen zu verbinden versuchen. Die Probanden werden vor einen Knopf gesetzt, den sie irgendwann drücken sollen. Sobald sie sich entschlossen haben, auf den Knopf zu drücken, sollen sie sich einen in diesem Moment angezeigten Zeitindex merken. Die Forscher beobachten dann, dass die motorischen Nervenzentren bereits vor dem Zeitpunkt aktiv werden, den die Probanden als Moment der Entscheidung angeben.

In der Presse werden diese Experimente als unheimlich dargestellt. Haben wir uns zum Zeitpunkt einer bewussten Entscheidung etwa längst unbewusst entschieden? Gibt es vielleicht so etwas wie den freien Willen gar nicht? Diese Fragen verstören, denn sie erschüttern die Alltagstheorien von Person und Intention.

Die Experimente kranken an der Gleichstellung von gemessener Zeit und Zeitempfinden. Wenn eine bewusste Entscheidung als Qualia das nicht-lineare Produkt eines elektrochemischen Netzwerkprozesses ist, stammt sie aus einer Welt, in der sich Ursache und Wirkung nicht klar trennen lassen. Wann wird eine Entscheidung wahrgenommen? Es lässt sich nicht einmal angeben, wie es sich mit den Abständen zweier Qualia verhält. Das Bewusstsein ist eine Schleifenbewegung ohne scharfe Grenzen.

Literatur

Edelman, Gerald und Tononi, Guilio 2000. A Universe of Consciousness. How Matter Becomes Imagination. New York: Basic Books.

Stromberg, Peter 1993. Language and Self-Transformation. Cambridge: Cambridge University Press.

Texte