Todestag

Vergänglichkeit und Vermehrung

Der Tod ist die sicherste Prognose unserer Zukunft. Sie ist sicherer als der nächste Tag, denn die Wahrscheinlichkeit, dass die Erde durch irgendeinen Zufall aus der Bahn gerät und in die Sonne stürzt, ist größer als die Wahrscheinlichkeit, niemals zu sterben. Der „Schnitter Tod“ bringt die absolute Gleichberechtigung.

Möglicherweise trennt das Wissen um den eigenen Tod die Menschen von den anderen Lebewesen. Sigmund Freud und Martin Heidegger versuchen diese Trennung als „Todestrieb“ und als „Sein zum Tode“ wortreich zu beschreiben. Sie machen deutlich, dass die Angst vor dem Tod die Psyche oder das Dasein auf grundsätzliche Weise prägt und die Besonderheit der Menschen ausmacht.

Für Elias Canetti hingegen ist die Angst vor dem Tod älter als die Menschen. Er beschreibt sie als eine uralte Reaktion auf eine Bedrohung, etwa das Auftauchen eines Raubtiers. Diese „Todesdrohung“ sei die Quelle der Macht, der Ursprung des Befehls und der gesellschaftlichen Organisation. Ob und wie sich die Todesangst der Tiere von unserer unterscheidet, lässt sich wohl kaum feststellen.

Was alltäglich als lebendig bezeichnet wird, basiert auf der Reproduktion von genetischem Code. Nach der Bedeutung dieses Textes zu fragen, heißt, sich nach dem den Sinn des Lebens selbst zu erkundigen. Eine spektakuläre Erleuchtung kann hier nicht erwartet werden. Viele Autoren, von Friedrich Nietzsche mit dem „Willen zur Macht“ bis Douglas Adams mit „42“, haben festgestellt, dass das Dilemma in der Frage, nicht in der Antwort liegt, denn diese ist schon in der Definition enthalten und einfach: Vermehrung.

Der Wunsch nach Vermehrung beschränkt sich nicht auf die direkte Verbreitung des eigenen genetischen Codes. Die meisten Bienen oder Ameisen sind steril und begnügen sich damit, für die Vermehrung naher Verwandter zu arbeiten. Das menschliche Streben nach Vermehrung kann sich in allen möglichen individuellen und gesellschaftlichen Projekten ausdrücken. All diesen Tätigkeiten gemeinsam ist die Hoffnung auf todlose Dauer in einer immer schon vergangenen Welt.

Literatur

Bourdieu, Pierre 1988. Die politische Ontologie Martin Heideggers. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Dawkins, Richard 1995. River out of Eden. New York: Basic Books.

Heidegger, Martin (1926) 2006. Sein und Zeit. Tübingen: Max Niemeyer Verlag.

Nietzsche, Friedrich. Werke in drei Bänden. Frankfurt a. M.: Büchergilde Gutenberg

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