Verausgabung

Spiel und Energie

„Was euch existieren läßt, ist nicht die Kraft eures Begehrens (das energetische und ökonomische Imaginäre des 19. Jahrhunderts), sondern das Spiel der Welt und der Verführung, es ist die Leidenschaft, zu spielen und mit sich spielen zu lassen, die Leidenschaft der Illusion und des Scheins – es ist das, was von außen kommt, von den anderen, aus ihren Gesichtern, was euch verwirrt und überlistet, was euch zwingt zu existieren, es ist die Begegnung mit dem und die Überraschung über das, was vor euch, außerhalb von euch und ohne euch existiert – es ist die wunderbare Exteriorität des reinen Objekts, des reinen Ereignisses, welches sich ereignet, ohne daß ihr etwas dazu beitragt – welche Erleichterung letztendlich – nur darin liegt etwas, was euch verführt: man hat uns viel zu sehr bedrängt, die Ursache aller Dinge zu sein und für alles eine Ursache zu finden. Ein mineralisches Objekt, das Ereignis einer Sonnenwende, ein sinnliches Objekt, eine verwüstete Form – all das verführt euch, denn es hat nichts mit eurer Wunschökonomie zu tun, und es verführt euch, weil der Mensch, der nur in seinem eigenen Wesen existiert, nichts ist und nur existiert, um außerhalb seiner selbst im Spiel der Welt und im Rausch der Verführung geschaffen zu werden.“ (Baudrillard 1983, 171ff.)

Der Verdacht, dass ein ins Spiel vertiefte Kind das beste Bild für das Wesen der Welt sein könnte, taucht früh in der hinduistischen Mythologie auf und findet sich in den Schriften von Friedrich Nietzsche, Georges Bataille, Johan Huizinga und Roger Caillois wieder. Letzerer unterscheidet vier Elemente des Spiels: Wettkampf, Zufall, Rausch und Verwandlung. Diese Rahmungen können sich im Spiel überlagern oder abwechseln. Das gilt auch für die interaktiven Rahmungen „Das ist ein Spiel“ und „Das ist kein Spiel“ selbst – wie Allan Watts sagt: „Das Leben ist ein Spiel, dessen Spielregel Nr.1 ist: Das ist kein Spiel, das ist todernst.“

Spiele gelten als Verausgabungen von Energie, deren Zweck eigentlich unklar ist. Dieser Spielbegriff kann auf den sich scheinbar grundlos verausgabenden Charakter von Welt, Gesellschaft und Menschen übertragen werden.

Spielende Maschinen?

Der wenig beliebte Aufklärer Julien Offray de La Mettrie bezeichnet den Menschen als „erleuchtete Maschine“, die „selbst ihre Triebfedern aufzieht“. Sie ist aus Milliarden kleinerer Apparate zusammengesetzt, deren genaue Funktionsweise zunächst unbekannt ist. Er erteilt der Trennung von Geist und Materie eine klare Absage. Die Seele oder Psyche sind organische Effekte, deren Arbeit nur durch Beobachtung erhellt werden kann. Den Philosophen seiner Zeit wirft er vor, vom Sessel aus nutzlose Metaphysik zu erdenken. Um zu erfahren, woraus die Menschen bestehen, sollten sie besser den Ärzten über die Schultern schauen.

Die menschlichen Körper bilden den mittleren oder „mesoskopischen“ Teil eines wimmelnden Maschinenparks, dessen Skala bis zur molekularen Ebene hinunter und bis zum Planetensystem hinauf reicht. Diese Wunschmaschinen können sich reproduzieren, weil die Erde ein „dynamisches energetisches Gleichgewichtssystem“ ist. Das bedeutet, dass sie zwar ständig Energie ans Weltall abgibt, aber auch Energie zugeführt bekommt. Dieser unablässige energetische Austausch erzeugt eine Umgebung, in der molekulare Komplexität und Leben möglich wird. Die Erde ist eine kosmische Oase, in der sich die Kräfte der Verfalls für eine Weile umkehren. Die große Frage ist, ob es sich dabei um die Regel oder eine Ausnahme handelt.

Alle laufenden Maschinen benötigen Energie. Die industrielle Revolution basiert auf der Verausgabung fossiler Energieträger, zunächst für Heizung und Beleuchtung, dann für Turbinen und Motoren. Mit Hilfe dieser Rohstoffe entstehen Infrastrukturen, die beständig wuchern und einen beispiellosen Energieverbrauch aufweisen. Da die Gebeine unserer Altvorderen nicht ewig brennen, rückt das Ende dieser ausschweifenden Festlichkeit immer näher. Wie wird es sein?

Literatur

Bataille, Georges 1979. Der heilige Eros. Berlin: Ullstein.

Baudrillard, Jean 1983. Die fatalen Strategien. München: Matthes und Seitz.

Caillois, Roger 1966. Die Spiele und die Menschen: Masken und Rausch. München: Langen-Müller.

De La Mettrie, Julien Offray (1747) 2009. Die Maschine Mensch. Hamburg: Meiner.

Handelman, Don und Shulman, David 1997. God Inside Out: Siva’s Game of Dice. Oxford: Oxford University Press.

Huizinga, Johan 1939. Homo Ludens. Amsterdam: Pantheon.

Kauffman, Stuart 1996. Der Öltropfen im Wasser. München: Piper.

Texte