Der Traum von der benevolenten KI

Die Menschen regieren sich gegenseitig in ungerechter Grausamkeit. Wäre es da nicht besser, das Regieren einem Computer zu überlassen? Was, wenn wir eine künstlichen Intelligenz hätten, eine benevolente KI, die Gerechtigkeit und Notwendigkeit abwiegt, entscheidet und dabei ständig versucht, das Glück aller zu maximieren? Wäre das nicht endlich eine Politik ohne Machtmissbrauch und Korruption, aber mit der totalen Transparenz rein zahlenbasierter Entscheidungen?

Tatsächlich ist der „Staat als Algorithmus“ der aktuelle Traum der digitalen Eliten und Cyber-Utopisten. Die Beschränktheit und Naivität dieser Hoffnungen kann ausführlich kritisiert werden. Ich frage mich jedoch, ob wir nicht schon längst an einen unsichtbaren, gerechten Rechner glauben.

Nur was gezählt wird, kann verwaltet werden, das gilt schon seit den ersten Priesterkönigen und hat wohl maßgeblich zur Erfindung der Schrift beigetragen. Bereits damals begannen viele der Machtbeziehungen, die unser alltägliches Leben formen, aus unserem direkten Gesichtskreis zu verschwinden und nur noch in Form von Buchstaben und Zahlen zu existieren. Unser Urvertrauen stützt sich schon recht lange auf unsichtbare Verwaltungskräfte, die Autorität aus kühler Zählung und Aufzeichnung beziehen.

Das gilt heute mehr denn je. Schon in The Wire wurde beispielhaft gezeigt, wie sehr alle gesellschaftlichen Institutionen von Performanzindikatoren durchdrungen sind.

Die Machtbeziehungen der Gegenwart werden in statistischer Sprache ausgedrückt, sie legitimieren sich mathematisch. Grausam regiert wird aber immer noch, denn vor jeder Zählung und Auswertung steht die Entscheidung, was gezählt wird und welche Fragen gestellt werden. Das kann uns keine benevolente KI abnehmen.

Dazu ein Beispiel: Bis vor wenigen Jahren wurde nicht gezählt, wie vielen Haushalten in Deutschland jährlich der Strom abgestellt wird. Nun zählt die Bundesnetzagentur, dass im Jahr 2012 insgesamt 321.539 Haushalten der Strom abgestellt wurde. Wie lange waren diese Haushalte von einem normalen Alltagsleben abgeschnitten? Das weiß niemand, denn es wurde nicht gefragt. Bekannt ist nur:

Für die Durchführung einer Sperrung berechneten die Lieferanten ihren Kunden durchschnittlich Kosten in Höhe von 31 Euro, wobei die Spannbreite der tatsächlich berechneten Kosten zwischen 0 und 155 Euro lag.