Geld: Fragmente

(Die hier auf der Website versprengten Fragmente zum Thema Geld als Fließtext zusammengefasst.)

Das Rätsel des Offensichtlichen

Warum finde ich das Thema Geld so interessant? Weil es eine alltägliche Selbstverständlichkeit ist, die anscheinend keine Erklärung braucht. Doch wenn man darüber nachdenkt, liest und spricht, wird schnell klar, dass Geld eine ziemlich rätselhafte Sache ist, über die niemand so richtig Bescheid weiß. Es scheint, als verstehen es alle so ungefähr, jedenfalls gut genug um damit umzugehen. Gleichzeitig geht man davon aus, dass andere Leute, irgendwelche Volkswirtschaftler oder andere Experten, genau wissen, wie das mit dem Geld eigentlich funktioniert.

Nach jahrelanger Lektüre wage ich zu sagen: Das ist nicht der Fall. Geld ist eine menschliche Erfindung und einer der wichtigsten Aspekte unserer Gesellschaft, aber es herrscht keine Einigkeit darüber, was es ist, wie es funktioniert und was wir da genau tun.

Dass scheinbar Offensichtliches wie Geld bei genauerer Betrachtung schnell seltsam werden, fasziniert mich ungemein. Wechseln wir den Blickwinkel, wird unser Alltag magisch und wir können sehen, wie begrenzt wir unser eigenes Zusammenleben überhaupt verstehen.

Was alle wissen

Wann lernen Kinder, wie Geld funktioniert? Die Regeln des Eigentums werden vermutlich im Umgang mit Spielzeug eingeübt. Aber irgendwann folgt die Einsicht, dass die Grenzen des Eigentums verschoben werden können, indem man für Dinge bezahlt. Diese Lektion wird heutzutage wohl meistens im Supermarkt vermittelt.

„Jedermann weiß, wenn er auch sonst nichts weiß, daß die Waren eine mit den bunten Naturalformen ihrer Gebrauchswerte höchst frappant kontrastierende, gemeinsame Wertform besitzen – die Geldform.“ (Karl Marx, Das Kapital)

Möglicherweise stellt der Umgang mit Geld das allgemeinste Wissen und die wichtigste Alltagskompetenz in der Gesellschaft der Gegenwart dar. Solange man es noch schafft, an der Supermarktkasse zu bezahlen, kann man stinken und laut mit sich selber reden. Wer nicht einkaufen kann, weil er kein Geld hat oder aus anderen Gründen nicht die Rolle des Kunden einnehmen kann, ist wahrhaft ausgegrenzt, umgeben von einer Fülle verführerischer Angebote, die für andere gedacht sind.

Geld und Sprache als Fetisch

Sprache und Geld haben viele Gemeinsamkeiten. Sie ähneln sich beispielsweise darin, dass fast alle Menschen sowohl Sprache als auch Geld problemlos verwenden können, obwohl niemand die zugrunde liegenden Mechanismen so richtig versteht.

Sprache und Geld ähneln sich auch darin, dass sie außerhalb der sozialen Situation keine Bedeutung oder Wert haben. Für einen Außenstehenden sind es einfach nur Töne oder Gekritzel im Fall von Sprache. Beim Geld sind es Zettel, Metallstücke oder Zahlen auf einem Bildschirm.

Sprache und Geld erhalten Bedeutung und Wert durch ihre Verwendung innerhalb des sozialen Rahmens. Dass ein Wort eine bestimmte Bedeutung hat, beruht auf zufälliger Geschichte. Ihre Verbindung beruht auf ihrer Verwendung und im Lauf der Zeit kann sich die Bedeutung eines Wortes ändern. Ähnlich verhält es sich bei Geld und Wert. Der Wert eines Euro bemisst sich danach, was ich dafür kaufen kann. Auch das ändert sich ständig und ist von der Situation abhängig.

Sprache und Geld werden zum Fetisch, wenn man sie für unveränderliche Dinge hält, die außerhalb sozialer Handlungen ein fest umrissene Wirklichkeit besitzen. Die Bedeutung von Worten scheint für immer und überall im Lexikon festgelegt zu sein, anhand der dann der richtige oder falsche Gebrauch für jede denkbare Situation beurteilt werden kann. Doch Sprache ist lebendige Praxis, voller Zweideutigkeiten und ständigen Wandlungen unterworfen. Genauso ist der Wert eines Euro und was ich dafür bekomme nicht immer und überall gleich. Was ich mit einem Euro machen kann, hängt davon ab, wer ich bin, wo ich bin und in welcher Form er mir vorliegt.

Weder Sprache noch Geld sind für alle immer und überall gleich. David Boyle schreibt, dass dies die große Ungerechtigkeit im Herzen des Geldsystems ist. Für manche Menschen ist Geld flexibel und unsichtbar, für andere ist es furchtbar konkret. Einige Menschen können die Regeln verschieben und in ihrem Sinne nutzen, andere sterben an ihnen.

Des einen Leid…

Ein offensichtlicher, aber selten voll durchdachter Zusammenhang unseres zeitgenössischen Geldsystems:

Alle Schulden sind das Guthaben anderer und umgekehrt.

Wie viel Geld gibt es überhaupt? Im ersten Moment stellen wir uns Geld wohl am ehesten als eine begrenzte Menge von Münzen und Scheinen vor. Es ist knapp und alle wollen so viel wie möglich. Es ist nicht genug für alle da.

Das allermeiste Geld existiert jedoch nur als Versprechen. Die Zentralbanken haben unterschiedliche Methoden, um verschiedene Geldmengen zu berechnen, doch das sind immer nur ungefähre Schätzungen. Mit jedem Kredit wird neues Geld geschaffen, dafür braucht es nur einen Tastendruck. Es gibt unendlich viele Zahlen.

Geld regelt und sortiert

Mary Douglas schreibt, dass Geld nur ein extremes und spezialisiertes Ritual sei. Was meint sie damit? Der Begriff Ritual ist vermutlich ebenso umstritten wie der Begriff Geld und zu beiden gibt es Berge von Literatur. Im Zusammenhang mit ihrem Text, dem Klassiker „Reinheit und Gefährdung“ meint sie damit wohl in erster Linie: Ein Ritual ist eine Handlung, mit der sich die Menschen die zweideutige und unberechenbare Wirklichkeit symbolisch sortieren. Mit Hilfe von Geld wird aus dem Chaos eine übersichtliche Alltagswirklichkeit geschaffen, in der soziale Verhältnisse geordnet und damit absehbar werden.

Warum ist es ein extremes und spezialisiertes Ritual? Darauf geht sie nicht näher ein, vermutlich weil es ohne übernatürliche Wesen und mit einem minimalen gemeinsamen kulturellen Bedeutungshorizont der Beteiligten auskommt. Es braucht nur die Währung, die Zahl und eine Zahlungsmethode. Dieser hat 243, jener 10.894, der andere schuldet 785. Im Geldritual werden soziale Beziehungen in mathematische Operationen verwandelt. Das ist schon ziemlich extrem und spezialisiert.

Die letzten Menschen

Ist es vorstellbar, dass jemand ausschließlich soziale Beziehungen hat, die über Geld geregelt werden? Mit einem Arbeitsplatz, einem bereits bestehenden Vermögen oder staatlichen Leistungen sind die Mittel da, um warm zu wohnen und zu essen. Alle möglichen kostenpflichtigen Mediendienste bieten Ablenkung. Gastronomie und andere Erlebnisorte wie Fitnessstudio oder Museum sind alle für einen Preis zu haben. Alle möglichen Drogen können für gute Stimmung sorgen. Psychotherapie bietet ein offenes Ohr, Massage und Prostitution den erwünschten Körperkontakt.

Kurz, jemand der keinerlei Beziehung zu Familienangehörigen, Freunden oder Bekannten pflegt, keine Vereinsaktivitäten, Ehrenämter, politisches Engagement oder ähnliches verfolgt und alle Kontakte außerhalb von geldvermitteltem Austausch meidet.

Das ist nicht nur vorstellbar, die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass es gar nicht so wenige dieser letzten Menschen des Kapitalismus gibt. Theoretiker wie Karl Polanyi gingen davon aus, dass eine Gesellschaft, die ausschließlich aus solchen Menschen besteht, nicht tragfähig wäre, dass es einen sozialen Kitt aus langfristigen Beziehungen brauche, die über finanzielle Transaktionen hinausgehen. Die These ist zumindest bisher noch nicht widerlegt.

Auf den Mund geschaut

„Es geht doch immer nur ums Geld“ – dass diese zynische Weltsicht dann doch viel ausblendet, zeigen die Redensarten: „Geld macht nicht glücklich“ und „Das letzte Hemd hat keine Taschen“.

Das mag stimmen, doch ohne Geld glücklich zu werden ist heute sehr schwierig und die Vermögenslage hat durchaus Einfluss auf die eigene Lebensdauer und das Wohlergehen der Nachkommen. Geld wird um so wichtiger, je weniger man davon hat.

Ich vertrete die These, dass das dominante Menschenbild der Gegenwart das des genießenden Rechners ist. Dieses Bild ist durchaus widersprüchlich und mündet in unterschiedlichen Forderungen an die Menschen. Das vorherrschende Menschenbild ist sicher eng an die zentrale soziale Praxis, den Umgang mit Geld, geknüpft. Wie teilt sich das auf?

Der Rechner: Plant langfristig, legt das Geld richtig an, kauft klug ein, vergleicht die Preise, holt bei der Steuererklärung alles raus, weiß Bescheid über das richtige Maß an Versicherungen und die Altersvorsorge.

Der Genießer: Gönnt sich was, kauft spontan, flippt auch mal aus, schätzt Erfahrungen mehr als Geld, probiert die neuesten Produkte, hat einen guten Geschmack und weiß, wo es das beste [XYZ] gibt.

Was gerne unerwähnt bleibt

Wenn definiert werden soll, was Geld denn nun eigentlich genau ist, werden oft drei Funktionen aufgezählt, die es erfüllt: Austauschmedium, Maßstab und Wertbewahrung. Geld ist also da, um den Handel zwischen zwei Parteien zu ermöglichen und es bietet eine allgemeine Größe, an der dann alle anderen Waren gemessen und verglichen werden können. Zusätzlich kann es leicht aufbewahrt und für einen Austausch in der Zukunft benutzt werden. Das ist das Bild, dass die meisten ökonomischen Texte dazu zeichnen.

Einige Funktionen des Geldes sind damit bestimmt richtig umschrieben, aber es werden dabei ganz wesentliche Merkmale unterschlagen. Dazu gehört, dass Geld nicht nur den Austausch von Waren ermöglicht, sondern auch als Ware gehandelt wird und sich so selbst vermehren kann. Das ist eigentlich widersinnig, wenn Geld vor allem als Maßstab aufgefasst wird, denn man kann beispielsweise immer nur ein Kilo von irgendetwas kaufen, nicht einfach ein Kilo. Offensichtlich steckt mehr dahinter.

Kredit, Devisenhandel und die zahllosen darauf basierenden Produkte machen heute den allergrößten Teil der in Geld gemessenen wirtschaftlichen Tätigkeit aus, die Umsätze sind viel höher als materielle Güter und Dienstleistungen. Finanztransaktionen sind seit Jahrzehnten die wichtigste Triebfeder der weltweiten Wirtschaft. Die rätselhafte Selbstvermehrung des Geldes und all die Probleme, die damit einher gehen, werden schon sehr lange diskutiert. Darum sollten sie auch in den einfachsten Lehrbüchern vorkommen.

Eine Frage der Macht

In der Lesart von Marx ist Geld vor allem der Anspruch auf die direkte und indirekte Arbeit anderer. Wer genug Geld hat, kann die Ergebnisse unglaublich langer und verzweigter Produktionsketten kaufen und Leute dazu bringen, Dinge zu tun, die sie nur für Geld tun würden. So ist Geld ein Mittel, um das Verhalten anderer zu beeinflussen, was der Auffassung Foucaults von einer Technik der Macht entspricht.

Dass Geld Macht bedeutet, wissen wir alle und der Umstand muss eigentlich nicht lange von diesem und jenem Autor hergeleitet werden. Doch die krasse Unterdrückung und die zahllosen Ungerechtigkeiten, die mit dem Geldsystem einhergehen, werden oft ausgeblendet, vor allem wenn wir uns vorstellen wollen, dass unsere Gesellschaft eigentlich gar nicht so schlecht ist. Daher kann die Anrufung einiger Ahnväter der schonungslosen Analyse nicht schaden.

Der Zusammenhang von Geld und Macht wird vielleicht im Begriff des Vermögens am allerdeutlichsten. Geld zu haben öffnet die Welt, dafür muss es noch nicht einmal ausgegeben werden. Allein die Tatsache, es zur Verfügung zu haben und damit alles Mögliche machen zu können, verleiht eine alltägliche Sicherheit, die man wohl erst so richtig bemerkt, wenn sie weg ist. Ein volles Bankkonto beeinflusst nicht nur, was dann letztendlich auch gekauft wird, sondern auch die Haltung gegenüber den anderen Menschen und die Selbstverständlichkeit, mit der wir uns durch die Welt bewegen.

Im umgekehrten Fall verengen Schulden die Zukunftsmöglichkeiten ganz entscheidend. Eine Pflicht muss abgetragen werden oder es droht Bestrafung, jedenfalls wenn es sich um Beträge handelt, mit denen Einzelpersonen zu tun haben. Für Staaten, Banken und Unternehmen gelten andere Regeln. Doch wer als Einzelner verschuldet ist, etwas zu verlieren hat und andere versorgen möchte, muss sich fügen.