Vor ein paar Jahren habe ich einen Text für das Programmheft einer Aufführung von Susn geschrieben, den ich gerade wieder gefunden habe und hier festhalte.
Scheitern wie Susn
Wir sollen perfekt aussehen, erfüllte Beziehungen haben und eindrucksvolle Karrieren hinlegen. Dabei immer lächeln und das Ganze genießen. Leidenschaftlich an Erfolgen arbeiten, tolle Urlaube erleben, ein gemütliches Heim mit schlauen Kindern haben, dabei bewusst konsumieren und fantastisch ficken. Achtsam sollen wir sein, sorgenfrei und immer guter Laune.
Das kann nicht klappen, das Leben ist einfach nicht so. Es geht immer schief, wir scheitern. Unsere Körper altern, wir werden enttäuscht und enttäuschen, werden von Angst, Neid, Wut zerrissen und sind selten glücklich. Wir wären gerne Genies oder wenigstens Models und hoffen auf Unsterblichkeit. Doch selbst die Besten scheitern irgendwann, denn auch sie lassen nichts zurück außer verzerrten Erinnerungen und falsch verstandenen Worten.
Der wichtigste Befehl der Gesellschaft an die Einzelnen war früher: Gehorche! Heute heißt es vor allem: Genieße! Grelle Konsumforderungen, zwanghafter Genuss und mediale Geltungssucht prägen unseren Alltag. Bloß nichts verpassen! Alles mitnehmen! Keine Möglichkeit auslassen!
Wir sind uns selbst vielleicht schon immer die schlimmsten Unterdrücker gewesen. Wir haben uns viel zu lange erzählt, die Ursache für alles zu sein. Nicht schlau genug, nicht schön genug, zu wenig Willen, zu wenig Leidenschaft. Beruhigen wir uns, denn die Niederlage ist unabwendbar. Dafür können wir nichts, genau wie Susn nichts für das kann, was ihr immer wieder passiert. Sie kann nicht gewinnen, die Karten sind gezinkt. Aber sie wird deshalb noch lange nicht aufhören zu spielen.
Schauen wir uns um. Die Erde ist ein rätselhafter, wunderbarer und grausamer Platz. Wir werden geboren und bekommen je nach Zeit und Ort etwas eingetrichtert, mit dem wir mehr oder weniger gut zurecht kommen. Je nach Anlagen und Umständen haben wir größeren oder geringeren Einfluss auf das Leben anderer Menschen, und nach einer Weile sterben wir. So geht es scheinbar immer weiter fort. Wieso? Wozu? Das kann niemand sagen.
Warum sich dann überhaupt mit solchen Fragen beschäftigen? Zumindest die Antwort darauf ist einfach: Weil wir es sowieso tun. Denn wir alle sind mit der Zerbrechlichkeit des Lebens konfrontiert, egal wie mächtig wir sind, egal was wir besitzen und wie gesund wir leben. Ein falscher Schritt, ein paar Moleküle der falschen Sorte – aus und vorbei.
Der Tod ist die sicherste Voraussage unserer Zukunft. Sie ist sicherer als der morgige Tag, denn die Wahrscheinlichkeit, dass die Erde durch irgendeinen Zufall aus der Bahn gerät und in die Sonne stürzt, ist größer als die Wahrscheinlichkeit, niemals zu sterben. Vielleicht ist das gut so, denn der Tod bringt die absolute Gleichberechtigung. Doch was machen wir in der Zwischenzeit?
Retten kann uns natürlich nur die Liebe. Wir müssen uns aneinander festhalten. Leid zu lindern gibt es genug. Eigentlich gibt es gar keine Leere, nur Abstände. Alles, was passiert, hat mit allem zu tun, was bereits passiert ist. Durch uns weiß zumindest ein kleiner Teil der Welt von sich selbst und schaut sich an. Ein rätselhaftes, wunderbares und grausames Spiel der Verwandlung, dem sich niemand entziehen kann.
Es kommt nur darauf an, wie wir untergehen. Immer wieder, einen Tag nach dem anderen.