Sind wir zu gierig?

Der deutsche Lebensstil verbraucht zu viel Energie und Rohstoffe. Er zerstört die Umwelt und ist eine ungeheure Ungerechtigkeit gegenüber denen, die mit weniger auskommen müssen. Warum ist das so? Wenn es darum geht, was hier schief läuft, kommt oft die Antwort: Die Menschen sind einfach zu gierig.

Ich denke das ist irreführend, weil dadurch gesellschaftliche Probleme auf individuelle Psychologie reduziert werden. Gier wird durch diese Rede zu einem charakterlichen Defizit, von dem die gesamte Menschheit irgendwie betroffen ist, was einen schönen Nebeneffekt hat: Wenn alle schuldig sind, ist keiner Schuld. Sie stützt das Menschenbild von egoistischen Rechnern, die zwar kühl kalkulieren, aber einfach nicht genug bekommen können. Was genau die Vision des Menschen ist, die der herrschende Ökonomismus uns verkaufen will.

Gier als zweischneidiges Schwert

Gier gilt als Fluch und Segen der kapitalistischen Wirtschaftsweise. Das unverhältnismäßige Verlangen nach Profit wird angeprangert, wenn die Bereicherung der Einzelnen mehr Schaden als Nutzen für die Allgemeinheit hervorbringt. Zügelloser Konsum gilt als verwerflich, wenn viel mehr gekauft wird als eigentlich nötig wäre. Immer mehr Gewinn, immer die neuesten Produkte: Das kann nicht gut gehen, sagen die Propheten der Mäßigung, so fahren wir gegen die Wand. Weniger ist mehr: Das Motto der Satten, denen dieser neue Lebensstil dann in Form von Zeitschriften und Beratung verkauft wird.

Gleichzeitig gilt die Gier als der Motor der Moderne. Das unstillbare Verlangen nach mehr wird dann als Quelle des Fortschritts und des Wachstums gesehen. Die Leistungsfähigkeit des Kapitalismus läge gerade darin, dass die negativen Eigenschaften der Einzelnen zum Wohle der Vielen genutzt werden. Das führt dann zu Aussagen wie „der Kommunismus ist eine gute Idee, aber er funktioniert nicht, weil die Menschen nicht so sind“. Die aktuelle Wirtschaftsform wird dann gepriesen, weil sie auf das Schlechte im Menschen und nicht auf das Gute baut. Alles andere gilt als naiv, utopisch und unrealistisch, die bestehenden Verhältnisse werden alternativlos.

Der Geschäftsführer eines Unternehmens, das Schaden angerichtet hat, ist den Investoren und seiner Berufsehre gegenüber verpflichtet, möglichst wenig Wiedergutmachung zu zahlen. Der Teenager weiß genau, welches Handy am besten zu ihm passt: das neueste iPhone. Er weiß auch, welche Kleidermarken ok sind und welche nicht. Der Amerikaner kann sich nicht vorstellen, wie es die Menschen früher ohne Klimaanlagen aushalten konnten, 300 Millionen Inder haben nicht mal Strom. Der Ingenieur liebt Technik und will seine Familie versorgen. Deshalb arbeitet er gerne bei der Waffenschmiede am Bodensee.

Ist in diesen Fällen wirklich die Gier das Problem? Ich denke nicht, es sind gesellschaftliche Verhältnisse, die wir vorfinden und die unser Verlangen formen. Sie sind ständig im Wandel und können daher auch verändert werden. Die Gier hält uns weniger davon ab als die herrschenden Vorstellungen, mit denen wir uns einreden, unheilbare Süchtige zu sein, die alle gleich schuldig sind.